Pilz des Monats März 2022: Violettspitziger Räsling (Clitopilus ardosiacus – besser bekannt als Rhodocybe ardosiaca, Violettstieliger Tellerling)
Das Aufbestimmen von Exsikkaten in der Wintersaison ist ein Luxus, den sich ein freiberufler Pilzkundler erlauben kann, wenn er im Winter einige Zeit keine Pilzkurse hält. Natürlich muss die neue Kurs-Saison vorbereitet werden, aber ein wenig Muße muss ja schließlich sein. Die Bestimmung der Exsikkate ist dabei durchaus auch mühsame Arbeit, und oft denkt man sich, es wäre besser gewesen, die Pilze frisch zu untersuchen (was meist sehr viel schneller geht), wozu in der Regel während der Saison die Zeit fehlt. Nur selten kommt man bei Exsikkaten zu einem ganz schnellen Erfolgserlebnis. Es gibt aber Ausnahmen – und eine davon möchte ich hier vorstellen.
Als ich am 26.8.2021 bei einem Pilzkurs in der Schweiz auf einer Exkursion am Anstieg zu den Alpen südlich des Züricher Sees 3 Fruchtkörper eines kleinen Lamellenpilzes aufsammelte, dachte ich an einen vielleicht ganz interessanten Rötling. Mir fiel ein deutlicher Mehlgeruch auf, nicht aber so sehr die Tatsache, dass die Stielspitze einen auf dem gemachten Foto recht gut wahrnehmbaren Lilaton aufwies. Und wenn schon – schließlich gibt es etliche Rötlinge mit Blau- und Violett-Tönen irgendwo im Fruchtkörper.
Violettspitziger Räsling (Clitopilus ardosiacus, auch Rhodocybe ardosiaca) am 26.08.2021 im Bereich "Mummelgschwänd" s. Galgenen am Fuß der Alpen südlich des Züricher Sees (GPS: N47°9'16.72" E8°52'53.98"), ca. 820 m NN, an schwer zugänglichem steilem Bachufer an Gebirgsbach über Kalk, bei Grauerle, Bergahorn u.a. an direkter Bachkante zwischen Moosen, 3 Frk., leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner |
Und als ich den Beleg vornahm, dachte ich schon an mühsame Untersuchungen der Basidien nach Schnallen sowie an die Feststellung eines intrazellulären oder doch eher inkrustierenden Pigmentes in der Huthaut. Nun ja – zunächst einmal die Lamellen-Merkmale feststellen war die erste Devise. Ein Präparat mit Lamellenschneide in KOH angesetzt – und schon war die Überraschung da. Die ganze Lamelle (Schneide und Fläche) zeigte schon bei kleiner Vergrößerung überall gelbe oder fast orangefarbene Verfärbungen – ein Bild, das ich so ähnlich von einem anderen, durchaus anders aussehenden Pilz schon kannte, nämlich vom Rissigen Tellerling (Rhodocybe caelata, mittlerweile ebenfalls gültig zu Clitopilus caelatus umbenannt). Dieser kam allerdings nicht in Frage, und so stellte ich bei der Recherche fest, dass über ganz Europa schon einige weitere Arten mit solchen laugen-reagierenden Pseudozystiden (die man auch als Chryso-Pseudozystiden bezeichnen könnte) beschrieben wurden, von denen sich eine als Volltreffer erwies.
Violettspitziger Räsling (Clitopilus ardosiacus, auch Rhodocybe ardosiaca) am 26.08.2021 im Bereich "Mummelgschwänd" s. Galgenen am Fuß der Alpen südlich des Züricher Sees (GPS: N47°9'16.72" E8°52'53.98"), ca. 820 m NN, an schwer zugänglichem steilem Bachufer an Gebirgsbach über Kalk, bei Grauerle, Bergahorn u.a. an direkter Bachkante zwischen Moosen, 3 Frk., leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner - Funddaten für alle Fotos im Folgenden Die Sporen passen zu den in der Literatur angegebenen Maßen gut. Für Tellerlinge und Räslinge sind ähnlich Rötlingen skulpturierte Sporen charakteristisch. Klassische Räslinge wie etwa der Mehl-Räsling (C. prunulus s.l.) haben dabei längs-gerippte Sporen, während Tellerlingen unterbrochen gerippte bis warzige Sporen zugesprochen wurden. Die DNA zog die Grenzlinie dann aber anders, und so muss "unser Pilz" zu Clitopilus. |
Dieses Bild - aufgenommen bei 100facher Vergrößerung verriet lange vor der Sichtung der ersten Sporen, dass ein Rötling nicht in Frage kam. Mir war bisher mit solcher Lamellen-Struktur (mit KOH gelb verfärbende Pseudozystiden an Lamellenschneide und an der ganzen Lamellen-Fläche) nur vom nicht so seltenen Rissigen Tellerling (Clitopilus caelatus) bekannt - mit dem "unser Pilz" recht nahe verwandt ist. Pseudozystiden entspricngen nicht in der Deckschicht des Hymeniums wie das echte Zystiden tun, sonst könnte man auch von Cheilo- und Pleuro-Chrysozystiden sprechen. |
Cheilo-Pseudozystiden des Violettspitzigen Tellerlings: die meisten sind keulig geformt, manche auch etwas unregelmäßig. |
noch lebende (und deshalb vollständig von der gelben Saft enthaltenden Vakuole ausgefüllte) Pleuro-Chryso-Pseudozystiden in KOH von Clitopilus ardosiacus aus der Schweiz - die meisten sind relativ banal keulig, manche auch etwas knorrig ausgebildet. |
tote Pseudozystiden - lässt man das Präparat mit dem letalen Medium KOH eine Weile stehen, so kommt es zur Plasmolyse der Vakuole von der Zellwand und zur Bildung amorpher Strukturen im toten Zell-Inneren. Taxonomisch sind solche Phänomene ohne Bedeutung. |
Rhodocybe ardosiaca wurde aus der Schweiz beschrieben, von einem ganz ähnlichen Habitat wie beim hier gezeigten Fund. Ferner sind auch Funde aus Bach-Auenwäldern aus Österreich und Bayern bekannt, sowie ein Nachweis von einem Kalk-Trockenrasen in Südbaden. Soweit die schnelle Recherche. Besonders die Darstellung bei www.pilze-insa.de/pilzgalerie/bilddaten/Rhodocybe_ardosiaca_1.htm passte gut, nach diesem publiziere ich hiermit als Zweiter ein Farbfoto der wohl doch recht seltenen Art.
Der Lilaspitzige (ich bevorzuge das gegenüber dem bisher benutzten „Lilastieliger“, denn der Lilaton wurde zumindest von mir nur an der Stielspitze bemerkt) Tellerling bzw. nunmehr Räsling scheint nach den bisherigen Funden Kalkböden zu benötigen und besonders in Bach-Auenwäldern aufzutreten. Für mich war dies ein sehr schöner Neufund.