Pilz des Monats Juni 2020 – Sclerococcum stygium (alias Dactylospora stygia, Buellia stygia)
Heute möchte ich einmal einen Becherling kurz vorstellen, der – soviel ich weiß – keinen deutschen Namen hat. Es gibt heutzutage aber immer Menschen, die Websiten oder Rote Listen bearbeiten und dann für alle „Ihre“ Arten auch einen deutschen Namen brauchen. Davon halte ich wenig, denn Wortungetüme wie „Großsporiger Schwarz-Flechtenbecherling“ (eigene Erfindung, sollte nicht verbreitet werden) oder Direktübersetzungen wie „Unheilvolle Trockenkugel“ oder vor Kurzem (den Namen Sclerococcum kannte ich bis heute nicht – habe ihn eben aus dem Index fungorum ermittelt) „Unterweltlicher Fingerspor-Becherling“ bringen in der Sache niemanden weiter. Sclerococcum stygium, mir bis vorhin bekannt als Dactylospora stygia, in älterer Literatur als Buellia stygia bezeichnet – dürfte den allermeisten Pilzfreunden (incl. mir bis vor Kurzem – bis auf die Kenntnis aus der Literatur) unbekannt sein, lohnt also vielleicht eine kurze Darstellung als „Pilz des Monats“ 😊
Gefunden wurde die Art in einem Rhein-Auwald unweit Karlsruhe (bei Germersheim, Baden-Württemberg), wo wir mit einem befreundeten Paar zusammen (vergeblich, wegen der Trockenheit) auf Morchel-Suche gingen; zu Corona-Hochzeiten waren ja alle Frühlingspilz-Führungen und Seminare ausgefallen und das Beste, was noch möglich war, waren private Exkursionen mit sehr begrenzter Begleitung. So haben wir eine kleine Fahrt in die Pfalz gemacht, was bei uns als Pilz-Forscher als dienstliche Reise möglich war. Immerhin ein kleiner Vorteil gegenüber vielen anderen in der Bevölkerung, davon abgesehen, dass uns diese Krise als Veranstalter von Kursen und Seminaren natürlich nicht wenig trifft. Nun – Sclerococcum stygium ist für mich ein persönlicher Erstfund. Auch sonst scheint die Art nicht so oft gefunden zu werden, so finde ich auf pilze-deutschland nur 3 Punkt-Einträge (http://www.pilze-deutschland.de/organismen/dactylospora-stygia-berk-ma-curtis-hafellner-1979-1). Auch im Kartierungsatlas der Großpilze Deutschlands-West (G.J. Krieglsteiner 1993) ist nur ein Punkt (aus den Berchtesgadener Alpen) enthalten. Wie selten die Art wirklich ist, ist somit wenig bekannt.
Sclerococcum stygium (alias Dactylospora stygia) am 4.5.2020, Rhein-Auen bei Germersheim (unweit Karlsruhe, Baden-Württemberg unweit der Grenze nach Rheinland-Pfalz), an entrindetem, liegendem Laubholzast in Hartholz-Aue, leg. Renate Albrecht, Rolf Fuhrmann, Katharina & Lothar Krieglsteiner, det. Lothar Krieglsteiner, Fotos Lothar Krieglsteiner. Die schwarzen Becherlinge sind ca. 0,5-1 mm groß und ähneln vielen anderen Arten sehr, sind also nur mikroskopisch bestimmbar. |
Kleine (Durchmesser ca. 0,5-1 mm) schwarze Becherlinge mit ähnlichem Aussehen gibt es nämlich eine Menge, z.B. in den Gattungen Claussenomyces oder Sarea, aber auch z.B. in der Verwandtschaft von Mollisia, um nur wenige Beispiele zu nennen. Die ähnlichste, einigermaßen häufige Art dürfte aber Rhizodiscina lignyota (besser bekannt als Karschia lignyota) sein, zumal dann, wenn man auch die Mikroskopie mit bewertet.
Sclerococcum stygium (alias Dactylospora stygia) am 4.5.2020, Rhein-Auen bei Germersheim (unweit Karlsruhe, Baden-Württemberg unweit der Grenze nach Rheinland-Pfalz), an entrindetem, liegendem Laubholzast in Hartholz-Aue, leg. Renate Albrecht, Rolf Fuhrmann, Katharina & Lothar Krieglsteiner, det. Lothar Krieglsteiner, Fotos Lothar Krieglsteiner. Beachten Sie die schwarze, durch die Paraphysen gebildete Deckschicht, ein sogenanntes Epithecium - ein solches findet man vor allem bei Flechten und ihre Verwandten. Auch die düster gefärbten, zweizelligen Sporen (von 14-17/4,5-5,5 µm Größe) sind charakteristisch. |
Sclerococcum stygium (alias Dactylospora stygia) am 4.5.2020, Rhein-Auen bei Germersheim (unweit Karlsruhe, Baden-Württemberg unweit der Grenze nach Rheinland-Pfalz), an entrindetem, liegendem Laubholzast in Hartholz-Aue, leg. Renate Albrecht, Rolf Fuhrmann, Katharina & Lothar Krieglsteiner, det. Lothar Krieglsteiner, Fotos Lothar Krieglsteiner - Das Foto zeigt den gleichen Schnitt wie oben, aber nach Färbung mit Baralscher Lösung (IKI). Jodreagentien färben das ganze Hymenium tief blau - ein vor allem bei Flechten verbreitetes Merkmal. Sclerococcum stygium ist keine Flechte, sondern ein Saprobiont an Holz - er gehört jedoch mit den Patellariales in eine sonst überwiegend Flechten enthaltende Schlauchpilz-Ordnung. |
Schon die septierten, düster gefärbten Sporen weisen in die richtige Richtung – von den ähnlichen Arten haben nur die Verwandten von Dactylospora (incl. Sclerococcum, F. Dactylosporaceae, O. Lecanorales, U.kl. Lecanoromycetes) und Rhizodiscina lignyota (F. Patellariaceae, O. Patellariales, U.kl. Dothideomycetes) dieses Merkmal. Beiden gemeinsam ist außerdem die charakteristische Blau-Verfärbung des gesamten Hymeniums mit Jod-Reagentien (hier mit Baralscher Lösung) – ein Merkmal, das allgemein bei flechten-bildenden Schlauchpilzen weit verbreitet ist, bei nicht-lichenisierten Arten (wie Rhizodiscina und Dactylospora s.l.) aber meistens fehlt. Tatsächlich sind Sclerococcum und Rhizodiscina trotz ihrer großen auch mikroskopischen Ähnlichkeit offenbar nicht nahe miteinander verwandt, gehören aber beide zu Verwandtschaftsgruppen, die vor allem Flechten und nur wenige nicht-lichenisierte Pilze enthalten. Wie nun beide unterscheiden und auch von den (durchaus zahlreichen) weiteren Dactylospora- und Sclerococcum-Arten abgrenzen? Nun – da hilft vor allem die Sporengröße, die bei meinem Fund (ich maß 14-17/4,5-5,5 µm) sehr gut zu S. stygium passt.