Pilz des Monats August 2019: Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta)
Wenn ich mir überlege, welche Art der neue „Pilz des Monats“ wird, mache ich mir nur selten Gedanken darüber, was aus marktwirtschaftlichen Gründen opportun wäre – z.B. ein Vertreter aus einer der Gattungen, über die ich im Laufe des Jahres noch Kurse gebe. Genau so habe ich mir heute aber überlegt, einen Trichterling zu nehmen. Aber welchen? Viele Arten sind so speziell, dass sie eher nicht in Frage kommen, andere zu banal, um zu einem Fortgeschrittenen-PIlzkurs anzuregen. Mit dem Fleischfalben Trichterling hoffe ich, einen guten Kompromiss gefunden zu haben 😊
Die meisten Speisepilz-Sammler kennen den Fuchsigen Rötel-Trichterling (Paralepista flaccida alias Lepista inversa incl. Clitocybe gilva – das Namenskarrusell hat sich hier noch mehr gedreht und ich verzichte auf alle möglichen Synonyme), den ich hier als Sammelart einschließlich des Wasserfleckigen R. auffasse, gut. Seit einiger Zeit trauen sich viele nicht mehr, diesen Pilz zu Speisezwecken zu sammeln geschweige denn für andere frei zu geben – der Grund ist allerdings ein Pilz, der bisher noch nie (zumindest nach meinem aktuellen Kenntnis-Stand) in Deutschland gefunden wurde, vor dem allerdings seit Jahren gewarnt wird: der in Südeuropa und inzwischen bis Genf und Wien nachgewiesene Parfümierte Trichterling (Paralepistopsis amoenolens, Acromelalga-Syndrom), den ich bisher noch nie live gesehen habe. Über diese Art und diese Verwechslung möchte ich deswegen auch (vorläufig) nicht hier schreiben, sondern über einen bei uns vorkommenden Pilz, der viel mehr Grund zu etwas Angst bieten könnte, denn der Fleischfalbe Trichterling (Clitocybe diatreta) ist ebenfalls leicht mit dem Fuchsigen R. verwechselbar, und enthält zumindest nach einigen Literatur-Angaben Muscarin, könnte also für empfindliche Vergiftungen stehen. Meines Wissen sind aber bisher keine Vergiftungen mit C. diatreta bekannt geworden, oder zumindest sind solche ziemlich selten.
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) südlich von Dassel im Solling (Deutschland, Niedersachsen), in saurem Nadelwald im Oktober 2012, leg. Plzikurs mit Dieter Honstraß, det,, Foto Lothar Krieglsteiner. Beachten Sie den weißlichen Hutrand (Rest der Pruina), die wenig herablaufenden Lamellen sowie das Wachstum in Besen-Gabelzahnmoos (Dicranum scoparium) - ein Säurezeiger! |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) im "Haselbachtal" nw. von Schwäbisch Gmünd (Deutschland, Baden-Württemberg, Schwäbischer Wald), am 11.9.2014, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Beachten Sie das Wachstum in Widertonmoos (Polytrichum formosum) und Rotstängel-Moos (Pleurozium schreberi) - vor allem Letzteres ein deutlicher Säurezeiger |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) bei Adelmannsfelden-Hinterwald (Deutschland, Baden-Württemberg, Schwäbisch-Fränkischer Wald unweit Ellwangen), in saurem Nadelwald am 20.9.2013, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Auch hier ist der helle Hutrand zu sehen. |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) bei Rotenhar (Schwäbisch-Fränkischer Wald n. Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg, Deutschland) in saurem Nadelwald, am 8.10.13, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Der Fruchtkörper unten rechts zeigt noch die Pruina auch auf der Hutfläche. In der Moos-Schicht ist hier Torfmoos (Sphagnum spec.) beteiligt - dieses steht für feuchte, saure Standorte. |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) bei Rotenhar (Schwäbisch-Fränkischer Wald n. Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg, Deutschland) in saurem Nadelwald, am 8.10.13, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Reichliche Fruchtkörper-Bildung u.a. in den acidophilen Moosen Besen-Gabelzahnmoos (Dicranum scoparium) sowie Widertonmoos (Polytrichum formosum). |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) bei Rotenhar (Schwäbisch-Fränkischer Wald n. Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg, Deutschland) in saurem Nadelwald, am 30.10.2016, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Aufsammlung ist vom Regen abgewaschen und zeigt keine Pruina mehr - außerdem ist der Lamellen-Ansatz etwas untypischer Weise leicht herablaufend. Beachten Sie auch hier das Wachstum im acidophilen Widertonmoos (Polytrichum formosum). |
Fleischfalber Trichterling (Clitocybe diatreta) bei Durlangen-Tanau (Schwäbischer Wald n. Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg ö. Stuttgart) an Waldrand zu saurem Nadelwald-Bereich im Gras, am 26.10.2017, leg., det.,, Katharina & Lothar Krieglsteiner, Foto Lothar Krieglsteiner. Beachten Sie den hygrophanen Hut (auf den Fotos in diesem Beitrag nur hier zu sehen). Im Foto zu sehende Kräuter sind z.B. das Mausohr-Habichtskraut (Hieracium pilosella s.l.) sowie der Gebräuchliche Ehrenpreis (Veronica officinalis) - beide stehen für nährstoffarme, saure Standorte. |
Dies könnte daran liegen, dass der Fleischfalbe Trichterling nicht so häufig ist. Meist finde ich nur vereinzelte Fruchtkörper, aber bei günstigen Bedingungen können auch (Fotos!) reichliche Aufsammlungen gemacht werden. Und es kommt auf die Gegend an, und auf das Jahr. C. diatreta wächst nach meiner Erfahrung nur in deutlich sauren, tendenziell nährstoffarmen Nadelwäldern (und nährstoffarmen, sauren Wiesen), und es handelt sich um einen eher kleinen Pilz, der selten mehr als 5 cm Hut-Durchmesser (Maximal-Angaben bis 8 cm) groß wird, im Gegensatz zum Fuchsigen T. (bis 13 cm). Hat man also große Pilze auf neutralem bis basenreichem oder gar nährstoffreichem Standort, scheidet C. diatreta aus. Von oben betrachtet und von der Farbe her (fuchsig – fleischfarben rötlich braun) sind etwas größere, üppigere C. diatreta durchaus ähnlich P. flaccida. Es gibt aber doch – da kann man nun wieder beruhigen – klare makroskopische (die Sporen sind bei P. flaccida rau und rundlich, bei Clitocybe verlängert und glatt) Unterschiede zur Trennung. Zum einen die für klassische Lepista-Arten wie P. flaccida typische Ablösbarkeit der Lamellenschicht. Dann die meist viel stärker herablaufenden Lamellen (bei C. diatreta sind sie meist kaum oder gar nicht herablaufend), meist eingerollte (krempige) Hutränder sowie und Hüte mit viel stärkerer Trichter-Form. Kein Problem also? Nun - Einzel-Fruchtkörper, vor allem nach Regenfällen, können z.T. durchaus schwer zuzuordnen sein. Auch die Sporenpulverfarbe hilft wenig – beide haben cremefarbenes, C. diatreta sogar eher etwas dunkleres, ins Orange spielendes Sporenpulver. Es ist ein Irrtum anzunehmen, alle Trichterlinge seien Weiß-Sporer – hier gibt es noch viel mehr „Ausnahmen“. Ohnehin steckt Clitocybe im weiten Sinne (incl. der ebenfalls heterogenen Gattung Lepista) tief im molekular bedingten Transformationsprozess – beschrieben sind schon ca. 15 verschiedene Klein-Gattungen, und der Rest ist immer noch heterogen. Darüber erfahren Sie beim Trichterlings-Kurs dann etwas mehr …
C. diatreta gehört zu den jung vor allem am Rand fein bereiften (Pruina), hygrophanen Trichterlings-Arten, also eher zum Gattungs-Kern; eine Pruina haben z.B. auch der Mehl-Trichterling (C. ditopa) und der Feld-Trichterling (C. rivulosa). Trockene Hüte verlieren einen Teil der Fleischfarbe, und auch der Reif verkahlt rasch und ist bald kaum mehr sichtbar - und dann ist C. diatreta leicht mit banalen grau-weißlichen oder grau-braunen Trichterlings-Arten zu vermengen, die auch manchmal leichte Rosatöne haben können. Googelt man Bilder von C. diatreta, fallen einem sofort die zahlreichen Fehl-Benennungen auf, von denen manche durchaus prominenterer Natur sind. Ein Beispiel für eine gute und korrekte Darstellung der Art finden wir beim kürzlich leider verstorbenen Pilzfreund Fredi Kasparek: https://www.natur-in-nrw.de/HTML/Pilze/Agaricales/PA-58.html