Pilz des Monats Mai 2021 – die Krustenflechte Mycobilimbia sphaeroides, ein Kollateral-Verlust bei der Wegsicherung im Zuge des Eschensterbens
Große Stammlager vor allem von Eschen an Waldwegen und anderswo sind derzeit ein alltäglicher Anblick wohl überall in Deutschland. Schon seit Jahren wütet ein parasitischer Pilz, genau gesagt die parasitisch wachsende Nebenfruchtform eines Becherlings (Hymenoscyphus fraxineus, Anamorphe Chalara fraxinea) und tötet viele (wenn auch keineswegs alle!) Eschen, löst das sogenannte Eschen-Triebsterben aus. Die Eschen werden nun aus zwei Gründen gefällt: zum Einen will man natürlich ihr Holz noch zu Geld machen, solange es nicht am stehenden Stamm verfault. Zum Anderen gilt das Argument des Wegeschutzes – man will verhindern, dass irgendwann umfallende Baumstämme Sparziergänger oder Forstarbeiter verletzen oder töten.
Das wie für Deutschland typisch meist recht gründliche Vorgehen (sicherheitshalber gleich alle Eschen auf einmal) hat viele Kollateralschäden – Organismen, die in vielfältiger Weise von der Esche abhängig sind, verlieren ihre Lebensgrundlage. Es ist bekannt, dass auch einzelne Eschen das Triebsterben überleben (würden!) und – ähnlich, wie dies von den verschiedenen Wellen des Ulmensterbens bekannt ist – resistente Bäume einen neuen, wenn auch natürlich zunächst kleineren Bestand aufbauen. Es wäre also aus meiner Sicht nicht nötig oder gar angezeigt, alle Eschen zu entfernen, auch nicht alle toten Eschen, denn auch diese sind Lebensgrundlage für holzbewohnende Insekten und Pilze.
Die Krustenflechte Mycobilimbia sphaeroides (auch fälschlich M. sphaeroidea, Synonym Biatora pilularis) wird in der Roten Liste der Flechten Baden-Württembergs als „vom Aussterben bedroht“ (1) geführt. Einer der sehr wenigen Wuchsorte lag bis vor wenigen Wochen im „Osterbachtal“ bei Gaildorf-Schönberg, an der Basis einer älteren Esche – ein Wuchsort, der schon lange bekannt ist (kartiert in Wirth: Die Flechten Baden-Württembergs). Eher durch Zufall fand auch ich die Flechte dort und untersuchte sie auch mikroskopisch. Meine Bestimmung wurde dann im Forum ascofrance auch bestätigt (lichen on tree bark - Mycobilimbia sphaeroides? - Forum ASCOFrance). Seither zeige ich die Flechte jährlich bei meinen Flechtenkursen. Zeigte …
Mycobilimbia sphaeroides (= Biatora pilularis) - Krustenflechte mit grünem "Lager" und rosabräunlichen Apothezien an der Basis von stehender, alter Esche (Fraxinus excelsior) im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg (Schwäbischer Wald) am 24.02.2017 (obere 3 Fotos) und am 21.03.2018 (untere 2 Detail-Fotos), anlässlich von Flechtenkursen der Pilzschule Schwäbischer Wald, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner |
Mycobilimbia sphaeroides (= Biatora pilularis) - an der Basis von stehender, alter Esche (Fraxinus excelsior) im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg (Schwäbischer Wald) am 24.02.2017 anlässlich von Flechtenkurs der Pilzschule Schwäbischer Wald, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. Das Foto zeigt Sporen in KOH. Das Abtöten der Sporen führt zur Sichtbarkeit der Septen bei den zweizelligen Sporen. Mehr Fotos auch von lebenden Sporen vgl. lichen on tree bark - Mycobilimbia sphaeroides? - Forum ASCOFrance |
Mycobilimbia sphaeroides (= Biatora pilularis) - an der Basis von stehender, alter Esche (Fraxinus excelsior) im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg (Schwäbischer Wald) am 24.02.2017 anlässlich von Flechtenkurs der Pilzschule Schwäbischer Wald, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner - Das Foto zeigt die Fruchtschicht im Anschnitt, vor allem die mit Vakuolen-Guttulen (feinen Tröpfchen) angefüllten Paraphysen (unreife Asci nur unscharf.). |
Mycobilimbia sphaeroides (= Biatora pilularis) - an der Basis von stehender, alter Esche (Fraxinus excelsior) im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg (Schwäbischer Wald) am 24.02.2017 anlässlich von Flechtenkurs der Pilzschule Schwäbischer Wald, leg., det., Foto Lothar Krieglsteiner. - Das Foto zeigt unreife Schläuche nach Anfärbung mit Baralscher Lösung (Jod-Jod-Kalium-Lösung). Flechten zeigen oft starke Reaktionen der Asci (oder des ganzen Hymeniums) mit Jod-Reagentien. |
Im Osterbachtal wurden alle wegnahen Eschen gefällt, darunter auch die (einzige) mit M. sphaeroides. Der Wuchsort ist somit erloschen. Die Krustenflechte wuchs dort von knapp über Boden-Niveau bis in knapp 2 m Höhe. Eine Fällung in 2 m Höhe hätte der Wegsicherung auch genügt. Dies gilt für alle Eschen in diesem Gebiet, die natürlich alle nah am Boden abgeschnitten wurden. Dies gilt auch für mehrere Eschen, an denen die ebenfalls sehr selten gewordene Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) wuchs. Diese ist laut Bundesartenschutzverordnung „besonders und streng geschützt“. Ein Etikett, das nur im Falle des Absammelns der Flechte zählt – Wegsicherung ist natürlich (! - ?) der höhere Wert.
gefällte Eschen an Waldweg-Rand im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg am 13.04.2021. Die Eschen werden aus marktwirtschaftlichen Gründen sowie zur Wegsicherung gefällt. Dies hat in der derzeitigen, gründlichen Weise schwere naturschutz-fachliche Kollateralschäden (Foto Lothar Krieglsteiner). Die Austilgung des Wuchsortes der seltenen Krustenflechte Mycobilimbia sphaeroides (Rote Liste Baden-Württemberg: vom Aussterben bedroht) ist ein Beispiel. |
Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) an frisch gefällten Eschenstämmen im "Osterbachtal" bei Gaildorf-Schönberg. Die laut Bundesartenschutzverordnung "besonders und streng" geschützte Art kann nur im Luftraum an stehenden Baumstämmen überleben. Was besonders strenger Schutz wert ist, zeigt sich wie so oft im Vergleich mit anderen Werten wie Sicherheit (Wegsicherung) und Ökonomie. Paradox: selbst die Entnahme der todgeweihten Flechten von den gefällten Stämmen steht unter Strafe! Ein ganz schlechter Witz (Fotos: Lothar Krieglsteiner, oberes Foto: Übersicht, unteres Foto: Detail der Lungenflechte). |
Ich möchte hier niemanden anklagen. Immerhin wurden die Eschen schon sehr lange stehen gelassen (sie hätten schon früher Geld eingebracht) und immerhin wurde eine etwas weiter vom Weg entfernte Esche, an der die Lungenflechte wächst, vorerst stehen gelassen. Das Gleiche gilt für wenige noch nicht so alte Bergahorn-Bäume mit Lungenflechte, die ebenfalls stehen gelassen wurden. Insofern muss man also dankbar sein. Der Wuchsort der Lungenflechte wurde nicht ausgelöscht, nur sehr stark dezimiert. Es darf aber gefragt werden, ob der derzeitige Genozid an unseren Eschen-Vorkommen (und damit auch z.B. an den Vorkommen der Speisemorchel Morchella esculenta) wirklich in diesem Maße nötig ist. Der Pilz hat schon Schlimmes bewirkt – jetzt leisten wir Menschen wieder einmal ganze Arbeit. Und das Ahornsterben durch die Rußrindenkrankheit (Pilz Cryptostroma corticale) hat unsere Region noch nicht erreicht. Wenn dann auch noch die Ahorne absterben und gefällt werden, dann ist es auch mit der Lungenflechte im Osterbachtal vorbei.