Pilz des Monats April 2021 – Norwegischer Stäubling (Lycoperdon norvegicum)
Stäublinge oder Weichboviste – das lernen schon die Anfänger – sind essbar, solange sie innen weiß sind. Mit der Zeit lernt man einige Arten kennen, von denen manche sehr häufig sind (z.B. Flaschen- und Birnenstäubling), andere deutlich seltener (z.B. Beschleierter Stäubling, Igelstäubling), andere wachsen nicht wie die schon genannten Arten in Wäldern, sondern auf Grasflächen wie der immer noch vielerorts häufige Wiesenstäubing , der relativ wenig gegenüber Nährstoffeinträgen empfindlich scheint, aber auch z.B. der Hasenbovist, der heute nur noch selten in Reliktflächen in der „Kulturlandschaft“ anzutreffen ist. Wer sich intensiver mit der Gruppe befasst, wird noch eine ganze Reihe weiterer Arten kennen lernen und irgendwann beginnen, Proben auch mikroskopisch zu untersuchen.
In der Kurs-Saison und bei den Seminaren ist man als Kursleiter in der Regel sehr damit beschäftigt, alles Nötige zu tun, dass sich die TeilnehmerInnen wohl fühlen und vor allem, dass sie auch fachlich vom Kurs profitieren. Die Mehrzahl der Pilzfunde werden deshalb draußen ausführlich erklärt, und wo es nicht bis zur Art geht, bleibt es eben bei einer groben Annäherung, die den meisten Pilzfreunden auf Kursen auch völlig genügt. Immerhin schaffe ich es manchmal, unklare Funde zumindest mit einem Standortfoto zu dokumentieren und eine Probe mitzunehmen, diese zu trocknen, zu beschriften und so zu verstauen, dass sie später einmal wieder gefunden und nach-untersucht werden kann. Man kann sich vorstellen, dass man das nicht bei einem Dutzend Funde täglich tut …
Norwegischer Stäubling (Lycoperdon norvegicum) am 12.08.2019 bei einer Seminar-Exkursion der Pilzschule Schwäbischer Wald bei Gschwend-Rotenhar, am "Weiterweg" (Baden-Württemberg, Ostalbkreis, n. Schwäbisch Gmünd, ö. Stuttgart) in der Bodenstreu eines Weißtannen-Fichten-Mischbestandes auf mäßig basenreichem Boden, det., Foto Lothar Krieglsteiner - oben Übersicht, dann 2 Detail-Aufnahmen der Exoperidien-Bestachelung |
Stäublinge gehörten früher ohnehin nicht zu meinen Lieblingsgruppen. Dies hat sich aber seit ein paar Jahren ein wenig geändert und so machte ich am 12.08.2019 bei einer Kurs-Exkursion die hier gezeigten Fotos und ein Exsikkat, das ich mir vor wenigen Wochen im Lockdown anschauen konnte. Der lange Winter macht es möglich. Nun – obwohl meine Expertise bei der Mikroskopie der Stäublinge gerne noch wachsen darf, fiel mir gleich auf, dass dieser Stäubling irgendwie seltsam ist. Lycoperdon-Sporen sind in der Regel recht deutlich, aber doch immerhin stets erkennbar warzig ornamentiert, was man trotz deren Kleinheit eigentlich unter genügend hoher Vergrößerung schnell sehen kann. Eine Ausnahme ist eigentlich nur der inzwischen in eine eigene Gattung ausgegliederte Birnen-Stäubling (jetzt Apioperdon pyriforme), der aber, da werden Sie mir zustimmen, für den hier gezeigten Pilz nicht das richtige Bestimmungsergebnis ist.
Norwegischer Stäubling (Lycoperdon norvegicum) am 12.08.2019 bei einer Seminar-Exkursion der Pilzschule Schwäbischer Wald bei Gschwend-Rotenhar, am "Weiterweg" (Baden-Württemberg, Ostalbkreis, n. Schwäbisch Gmünd, ö. Stuttgart) in der Bodenstreu eines Weißtannen-Fichten-Mischbestandes auf mäßig basenreichem Boden, det., Foto Lothar Krieglsteiner - erstes Foto Sporen ohne Anfärbung (in KOH), zweites Foto Sporen nach Anfärbung mit Lactophenol-Baumwollblau, drittes Foto Capillitium-Faser |
Die Sporen des hier vorgestellten Fundes sind auch unter 1000facher Vergrößerung (Immersion) nahezu vollständig glatt, was auch noch nach der Anfärbung mit Lactophenol-Baumwollblau zutrifft. Ferner sind die Sporen selbst für einen Stäubling sehr klein (ich maß 3,2-4,2 µm, Jeppson 2018 gibt 3-3,5(4) µm, Jülich 1984 3-3,9 µm) – und damit war eigentlich schon alles klar, denn andere Lösungen als der mir bis dahin unbekannte Norwegische Stäubling (Lycoperdon norvegicum) gibt es für die genannte mikroskopische Merkmalskombination nicht. Vergleicht man die Makrofotos bei Jeppson 2018 oder auch bei G.J. Krieglsteiner 2000 mit meinen, so kann man ebenfalls mit der Bestimmung leben, auch wenn ich ein Merkmal nicht beobachten konnte: Nach Abfallen der Stacheln ergibt sich nämlich bei L. norvegicum ähnlich wie bei den häufigen Arten L. perlatum (Flaschenstäubling), L. nigrescens (Stinkstäubling) und L. echinatum (Igelstäubling) ein netziges „Alveolen“-Muster. Um dies nachzuvollziehen, müsste ich einmal ältere Fruchtkörper finden.
Die wenig bekannte Art scheint sehr selten zu sein. Schaut man im Internet auf pilze-deutschland nach, dann findet man nur zwei Fundpunkte in Nordbaden. Diese stammen vom vor wenigen Jahren verstorbenen Wulfard Winterhoff, wie ich in Band 2 der Pilze Baden-Württembergs (G.J. Krieglsteiner 2000) nachschlug. Googelt man nach Lycoperdon norvegicum, findet man relativ wenig, aber immerhin einen Aufsatz von Demoulin (1972.) aus den Westfälischen Pilzbriefen, in dem der Autor auch zwei deutsche Funde (in Bayern und in Brandenburg) erwähnt. Der Autor diskutiert eine nordisch-kontinentale Verbreitung, die zu den ihm bekannten Funden passt, aber wohl kaum zu den schon oben genannten nordbadischen Nachweisen (die im Übrigen von Demoulin persönlich, natürlich später als sein Aufsatz erschien, bestimmt wurden). Was wirklich die Wuchsbedingungen sind, damit sich die selten nachgewiesene Art wohlfühlt, ist wohl noch weitgehend unbekannt, ebenso, ob sie wirklich so selten ist, wie man vermuten könnte. Ich kann hier immerhin einen weiteren Mosaikstein beitragen.
Bleibt noch zu erwähnen, was die meisten Leser schon wissen. Die Gruppe der Bauchpilze (Gastromyceten) und auch die der Weichboviste als einer deren Teilgruppen (Ordnung Lycoperdales) gibt es nicht mehr. Moderne, u.a. (aber nicht nur) molekulare Befunde haben gezeigt, dass Bauchpilze mit sehr verschiedenen Hutpilzen verwandt sind und deshalb heute an vielen Stellen des Systems zu finden sind. Der norwegische Stäubling und seine Doppelgänger stehen heute in der Familie Agaricaceae, also der Familie von Champignons und Schirmlingen, mit denen sie die oft schuppig-stachelige Huthaut (nun ja: sagen wir beim Stäubling lieber Oberfläche oder Exoperidie), die Lebensweise als Sapromyzeten (also Abbauer toter organischer Substanz) und in vielen Fällen auch etwas säuerlich-stechende Gerüche („cristata-Geruch“ einiger Schirmlinge auch bei Weichbovisten) teilen.
Und ganz zum Schluss noch eine Information, die auch viele schon kennen: „Lycoperdon“ heißt, wenn man es aus dem griechischen übersetzt, „Wolfs-Furz“. Nicht schlecht passend für reife Fruchtkörper, auf die man versehentlich tritt. Keine Angst, wenn es stäubt. Ein Wolf ist in den meisten Fällen nicht dafür verantwortlich 😊