Pilz des Monats April 2024 – Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum)
Hin und wieder erlebt man bei Pilzkursen Überraschungen und überraschende Neufunde. Für die Region des Schwäbischer Waldes ist dies die vorgestellte Art, die ich (s.u.) aus dem Bayerischen Wald, dem Harz und aus Norwegen kenne (vor „heiligen Zeiten“ fand ich auch in der Rhön die Schwesterart M. urnula an Preiselbeere), aber im Schwäbischen Wald noch nie gesehen hatte – ich hätte irgendwie (warum nur?) gedacht, dass sie bei uns nicht vorkommt. Kursteilnehmer Tobias Traulich fand beim Kurs „Vorfrühlingspilze“ zwischen Torfmoos in einem örtlich sauren und feuchten Nadelmischwald mit Fichten und Tannen zunächst einen, dann weitere 2 Fruchtkörper ca. 2 m entfernt. Ich war gerade hingekniet, um etwas zu zeigen und die Teilnehmer waren alle in der Nähe. Weitere Fruchtkörper wurden nicht gefunden, auch nicht bei weiteren Exkursionen im Frühjahr 2024. Bis auf eine – ein einzelner älterer Fruchtkörper wuchs einige km entfernt vom Erstnachweis entfernt, bei Hönig, ebenfalls im Torfmoos unter Heidelbeeren. Katharina und vor allem ich hatten in dem durchaus torfmoos-reichen Gebiet mit Heidelbeeren durchaus intensiv gesucht. Vermutlich ist die Saison für den Heidelbeer-Fruchtbecherling für dieses Jahr zu Ende. Interessanter Weise wurde am Ort des Erstfundes bei Waldmannshofen auf der Kurs-Exkursion kurz darauf mit dem Heide-Flechtennabeling (LIchenomphalia umbellifera) ein weiterer erfreulicher Fund gemacht (ebenfalls auf Torfmoos als Unterlage). Das Vorkommen beider Arten deutet auf örtlich geringe N-Depositionen bei saurem Boden hin – ein heute selten gewordener und überall gefährdeter Zustand.
Warum überhaupt Torfmoos? Zunächst sei gesagt, dass unser Heidelbeer-Fruchtbecherchen, Monilinia baccarum (wie auch die verwandten heimischen Arten auf anderen Vaccinium-Arten wie M. urnula, s.o., oder M. oxycocci an Moosbeere – ferner gibt es eine M. vaccinii-corymbosi an kultivierten amerikanischen „Heidelbeer“-Arten), keineswegs in irgend einer Weise auf Torfmoos angewiesen ist. Die vorgestellten Funde aus Norwegen (trockene saure Böschung im borealen Fichtenwald), dem Harz (offene saure Böschung mit Buxbaumia aphylla an Weg durch Fichtenwald) sowie dem Bayerischen Wald (hoch bemooster Wegrand in Fichtenwald direkt nach der Schneschmelze (!)) zeigen kein Torfmoos auf dem Foto, sondern Begleitmoose sind (neben Buxbaumia aphylla, s.o.) niederwüchsige Polytrichum- oder Pogonatum-Arten (Norwegen, Harz) oder auch hochwüchsige Moosfilze mit dort v.a. Rhytidiadelphus loreus (Riemenstängel-Kranzmoos) und Polytrichum formosum (Schönes Widertonmoos). Auch Ingo Wagner (ASCO-SONNEBERG - Monilinia) schreibt, dass „die in der Literatur oft erwähnte Standortangabe „an nassen Stellen im Torfmoos“ durchaus keine Bedingung darstellt. Ca. 5 verschiedene Funde … beschränkten sich auf heidelbeerbewachsene Böschungen, an denen man auch Pseudoplectania nigrella (Glänzender Schwarzborstling) hätte finden können“.
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 10.03.2023 im Schwäbischen Wald nw. Eschach-Waldmannshofen (MTB 7025/3 - GPS ca.: N 48° 55' 5,11'' E 9° 51' 14,52''), 460 m NN, bewaldeter Hang zum Kochertal, in feuchter Partie von örtlich saurem, teils erfreulich nährstoffarmem Nadelmischwald (Buchen-Tannenwald mit Fichten), an Heidelbeer-Früchten vom Vorjahr, vergraben in dichtem Polster von Torfmoos (Sphagnum spec.), leg. Tobias Traulich bei Seminar von Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner) Gefunden wurden 3 (2+1) Fruchtkörper. Beachten Sie die tief urnenförmigen frischen Fruchtkörper und die mumifizierte Heidelbeere. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 21.03.2024 im Schwäbischen Wald n. Ruppertshofen-Hönig ("Auerbachtal" - MTB 7024/4, 470 m NN, GPS ca.: N 48° 54' 11,26'' E 9° 48' 13,38'' ), in saurer, nährstoffarmer Partie von Nadelmischforst (Fichte, Tanne, Kiefer, Buche), 1 älterer Fruchtkörper auf mumifiuzierter Heidelbeere in dichtem Torfmoos-Rasen (nur Scheibe zu sehen), leg., det. Katharina & Lothar Krieglsteiner, Foto Lothar Krieglsteiner. Beachten Sie das im Vergleich zur frischen Aufsammlung weiter geöffnete (kaum noch urnenförmige), düsterer gefärbte Apothezium. Am Stiel ist (oberes Foto) schon Schimmelpilz-Befall zu sehen (nicht untersucht). |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 02.05.2015 am "Ruckowies-Berg" ö. Zwieslerwaldhaus (Bayern, Nationalpark Bayerischer Wald unweit zu Grenze zu Tschechien), 1167 m NN, GPS nach Foto: N N49°6'5.81" E E13°16'47.06"), an vergrabenen, mumifizierten Heidelbeeren auf langen Stielen , in durch dicke, kürzlich geschmolzene Lage Schnee platt gedrücktem höherwüchstigem Mooslager mit (u.a.) Rhytidiadelphus loreus ("Riemenstängel-Kranzmoos") und Polytrichum formosum (Schönes Widertonmoos, Frauenhaarmoos), leg., det. Katharina & Lothar Krieglsteiner, Fotos Lothar Krieglsteiner |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 12.04.2009 an der Eckertal-Sperre (Niedersachsen, Harz, s. Bad Harzburg, Foto ohne GPS-Daten.) an oberflächlich festgeklebter Heidelbeere an Böschung an Wegrand durch Fichtenwald auf saurem Urgesteinsboden, leg., det. Lothar Krieglsteiner bei Seminar mit Dieter Honstraß,, Foto Michael Finkeldey). Beachten Sie den angetrockneten Fruchtkörper in der lichten Moosflur.. Torfmoos ist an dem trockenen Standort nicht in der Nähe. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 13.06.2015 im Nationalpark Fulufjellet (S-Norwegen an Grenze zu Schweden, Innlandet, Ljørdalen, Skåret - 751 m NN, GPS: N61°31'11.85" E12°32'52.43") an vergrabenen Früchten von Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) vergraben in Erde an saurem Wegrand durch nordischen, sauren Fichtenwald. Die Heidelbeeren verraten den trockenen Standort - von Torfmoos keine Spur. |
Nein – Torfmoos (Sphagnum spec.) bietet durch seine dicht rasig wachsenden, mit der Zeit lang werdenden Stämmchen ein Milieu, in dem abgefallene Heidelbeer-Früchte nach dem Abfallen über den Winter feucht liegen und so vom Pilz aufgeschlossen und konserviert werden können. Wo im Winter lange Schnee-Decken dies möglich machen, ist der Pilz im Vorteil (Funde in Norwegen und im Bayerischen Wald – dort nach Abtauen größerer Schneeblocks durch zusammengepresstes Moos wachsend gut erkennbar). Auch ist es so, dass sich der herausschauende Fruchtkörper (die Stiele sind stets im Moos eingesenkt und reichen bis zur Heidelbeere) in den optisch relativ homogenen Torfmoos-Polstern leichter entdecken lässt als anderswo. Die beiden Funde im Schwäbischen Wald gelangen beide in dichtem Wuchs von Sphagnum mit relativ kleinen Heidelbeerbüschen in noch relativ naturnah erhaltenen Bauernwäldern mit örtlich größeren Vernässungsbereichen mit Torfmoos in der Bodenschicht. ich bin schon gespannt, ob ich 2025 weitere Fundorte im Schwäbischen Wald und auf der Ostalb (dort gibt es laut pilze-deutschland Nachweise) entdecken kann.
Monilinia-Arten („Fruchtbecherlinge“) gehören zur Familie Sclerotiniaceae der Ordnung Helotiales – letztere umfasst den Löwenanteil dessen, was man unter dem Begriff „inoperculate Becherlinge“ zusammen fassen kann – solchen also, die ihre Sporen durch einen Porus aus dem Schlauch entlassen (dieser ist hier amyloid – vgl. Mikrofotos). Die Familie Sclerotiniaceae („Sklerotienbecherlings-Verwandte“) umfassen vor allem Parasiten an allerlei Pflanzen, die entweder reine Pilz-Sklerotien (wie Sclerotinia selbst mit dem Anemonen-Becherling S. tuberosa) oder „falsche“ Sklerotien unter Einschluss von Pflanzengewebe ausbilden oder auch „nur“ ihr Substrat durchwachsen und „sklerifizieren“ wie in unserem Falle bei Monlinia. Vielen bekannt dürfte auch sein, dass Fruchtbecherlinge auch Nebenfruchtformen (Anamorphen) ausbilden, die unter dem Namen Monilia bekannt sind und als Parasiten z.B. Schimmel und Fäule auf Nutzfrüchten (z.B. Kirschen, Äpfeln u.a.) verursachen. Meine Funde von M. baccarum betreffen alle die (sexuelle) Hauptfruchtform (Teleomorphe). Für die Familie Sclerotiniaceae ist ein besonderer Typus des Apikalapparates der Schläuche charakteristisch. Der Sclerotiniaceae-Typ sieht im optischen Schnitt oben und unten etwas angeschwollen aus (andere Typen sind der weit verbreitete Calycina-Typ (oben angeschwollen) und der Hymenoscyphus-Typ (im optischen Schnitt zwei Striche ohne Anschwellungen).
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) am 10.03.2023 im Schwäbischen Wald nw. Eschach-Waldmannshofen (MTB 7025/3 - GPS ca.: N 48° 55' 5,11'' E 9° 51' 14,52''), 460 m NN, bewaldeter Hang zum Kochertal, in feuchter Partie von örtlich saurem, teils erfreulich nährstoffarmem Nadelmischwald (Buchen-Tannenwald mit Fichten), an Heidelbeer-Früchten vom Vorjahr, vergraben in dichtem Polster von Torfmoos (Sphagnum spec.), leg. Tobias Traulich bei Seminar von Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner) Gefunden wurden 3 (2+1) Fruchtkörper - von dieser Aufsammlung stammen alle Mikrofotos. Alle MIkrofotos in Wasser (auch Färbungen mit Lugolscher Lösung).. Beachten Sie in der Übersicht die breit zylindrischen Schläuche (Asci). |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.). Beachten Sie den Schlauch mit oben 4 großen und unten 4 noch nicht ganz reifen kleinen Sporen. Die Mehrzahl der Schläuche hat diese Verteilung. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.).. Beachten Sie den oberen Schlauch mit oben 4 kleinen und unten 4 großen Sporen. Diese umgekehrte Verteilung tritt seltener auf, wurde aber an einigen Stellen gesehen. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.).- Beachten Sie die Spitzen der fast inhaltsleeren, fädigen bis schmalkeuligen Paraphysen. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.) - beachten Sie die großen und kleinen freien Sporen. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.). - beachten Sie den in Baralscher Lösung (konzentrierter Lugolscher Lösung) blau verfärbten Ascus-Porus vom Sclerotiniaceae-Typ. Hier erscheint der Apikalapparat im optischen Schnitt apikal und basal erweitert. Andere Typen sind der verbreitete Calycina-Typ und der Hymenoscyphus-Typ. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.) - Bei Becherlingen mit langen Schläuchen ist es oft nicht einfach, die Haken-Verhältnisse an der Basis passabel aufs Foto zu bekommen. Hier nur halbwegs gelungen im Lugol-Präparat. |
Heidelbeer-Fruchtbecherchen (Monilinia baccarum) aus Waldmannshofen (Schwäbischer Wald, Baden-Württemberg - Funddaten s.o.). - verschiedene Ansichten des Exzipulums (Gehäuses) im Schnitt. Die oberen Bilder zeigen eine dünne Auflage auf dem ektalen Exzipulum als schmalzellige textura porrecta - weiter innen sind die Zellen breiter und entsprechen textura prismatica. Das braune Pigment ist außen am stärksten. |
Der Heidelbeer-Fruchtbecherling (Monilinia baccarum) zeichnet sich unter den Gattungs-Genossen durch ein eigentümliches Alleinstellungs-Merkmal aus: in den Schläuchen werden 4 große und 4 kleine Sporen gebildet. Ob diese unterschiedliche Funktionen haben und/oder beide gleichartig zu Keimung und Reproduktion beitragen, ist zumindest mir nicht bekannt. Auf alle Fälle haben zwar andere Monilinia-Arten dieses Merkmal nicht (z.B. nicht M. urnula an Preiselbeeren – bei gemeinsamem Vorkommen von Heidel- und Preiselbeere gefundene Proben können schnell mikroskopisch zugeordnet werden), es taucht aber noch bei einer anderen mir bekannten sehr charakteristischen Art der Familie auf, bei dem „echten“ Sklerotienbecherling Sclerotinia trifoliorum („Klee-Sklerotienbecherling“). Diese Art hat hellere, flachere Becher, kleinere Sporen und ein anders aufgebautes Gehäuse (bei Monilinia baccarum: Exzipulum ectale textura porrecta, weiter innen prismatica – vgl. Mikrofotos). Auch 4sporige Schläuche (S. capillipes an Erlenlaub) sind in der Verwandtschaft bekannt. Etliche Monilinia-Arten infizieren Blüten mit ihren Ascosporen und mumifizieren die aus der Befruchtung resultierenden Beerenfrüchte, aus denen im nächsten Frühjahr dann wieder die Hauptfruchtform gebildet wird.
Nun hoffe ich, etwas Klarheit ins Gewirr von Monilinia und Monilia gebracht zu haben – hüten sollte man sich vor Versprechern zu Molinia – dann ist man nämlich beim Pfeifengras angelangt 😉
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