Pilz des Monats Februar 2023 – Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens)
Manchmal passiert es, dass man einen Fund erst später wertschätzt. So ging es mir am Ende einer langen ganztägigen Exkursion im (nicht ganz) südlichen Norwegen (Provinz Innlandet), als wir an einem mäßig steilen Anstieg nach einem ganzen Tag in moorigem Habitat noch einen Abstecher ins (naturgemäß höher gelegene) Fjell (das ist so eine Art felsige Tundra, oberhalb der Baumgrenze) machen wollten. Es ging darum, noch die „paar Höhenmeter“ zu überwinden, und eigentlich hatte ich schon genügend spannende Pilzproben für die Mikroskopie-Session in der Nacht eingepackt (was sich bewahrheiten sollte). In der Tat ließ ich die erste Gruppe des mutmaßlichen Lyophyllum, das sich am Wegrand zeigte, auch stehen, und erst, als ich es einige Meter weiter noch einmal fand, dachte ich „was solls“ und nahm eben noch eine Portion Arbeit mit nach Hause und bückte mich etwas widerwillig, um es auf die Schnelle (sozusagen "in Gottes Namen") zu photographieren (und einzupacken).
Nun – als ich dann „zu Hause“ (in unserem engen hytter, in dem Mikroskopieren durchaus eine Herausforderung war) versuchte, den Rasling (ein solcher war es spätestens dann sicher, als sich zeigte, dass der Pilz bei Berührung und Verletzung schwärzte, s.u.) einer Art zuzuordnen, bekam ich große Schwierigkeiten und landete schon am gleichen Tag – mit Bauchweh (dieses erläutere ich weiter unten) – bei einer Art, die aus einem sehr ähnlichen Habitat in Süd-Schweden von Erhard Ludwig beschrieben wurde und offenbar seit der Typus-Kollektion nie wieder aufgetaucht ist (?): L. brunneo-ochrascens E. Ludwig.
Ludwigs Typus-Kollektion (im Kompendium Band 1 auf S. 301) aus dem Süden Schwedens wurde „auf baumbestandener Schafweide, büschelig am Fuß einer Birke“ aufgesammelt. Mein Fund (Fotos vom Standort s.u. – am Ende der Dokumentation des Pilzes) stammt aus einem Birkenwald auf saurem Boden (knapp unterhalb der Fjell-Stufe), und Schafe (und Rinder) laufen auch dort häufig frei herum -ihre Köttel wurden in der Nähe durchaus auch angetroffen.
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner - Detail: Stiel mit Caulozystiden-Büscheln (s.u.). |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner - beachten Sie die Hygrophaneität beim Trocknen, die bei E. Ludwig in der Erstbeschreibung auch erwähnt wird. Foto leider nicht ganz scharf :-( |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner - Das Studio-Foto zeigt ein Schwärzen in allen Fruchtkörper-Teilen, vor allem an der Lamellenschneide, nach manuellem Druck. Im Gegensatz zur Typus-Beschreibung bei E. Ludwig ist das Schwärzen allerdings ziemlich verhalten und langsam und keineswegs "sofort". Dass der Pilz überhaupt schwärzt, ist ein deutliches Zeichen für die Gattung Lyophyllum, Sektion Lyophyllum (Schwärzlinge). |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner - das Foto zeigt geschwärzte Fruchtkörper in der Nähe der frischen, die vermutlich zur gleichen Art gehören. Sicher ist das aber nicht, es wurde nicht geprüft. |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner - die 6 Fotos zeigen Sporen in unterschiedlichem Reifegrad und Vitalität. 1. unreife Sporen am Ständer mit kleinen Tropfen, lebend. 2. reife Sporen mit 2 größeren Tropfen noch am Ständer, lebend. 3. lebende junge Sporen (Mitte), reife (o.l.) und absterbende (o.r - dies sieht man an den amorphen Sporen-Inhalten, die gerade "agglutinieren"). 4. und 5. unterschiedlche Zustände in Kongorot. 6. hoher Anteil an lange abgestorbenen, völlig inhaltsleeren Sporen. Hier sieht man einge gewisse Wand-Dicke der Sporen (die im lebenden Zustand nicht erkennbar ist). |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner - die Ständer sind 4-sporig (was nichts Besonderes bei einem Basidiomyceten ist ...). Aufnahmen in Kongorot-NH3 |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner - die Ständer sind (das ist typisch für Lyophyllum, aber auch z.B. für Tricholoma oder Entoloma Sekt. Entoloma) sehr ölreich. Lebende Strukturen (1. Foto) zeigen zahlreiche kleine Tropfen, die in diesem Falle für die siderophile Granulation (nicht geprüft) verantwortlich sind (Aufnahme in Kongo-SDS) - das 2. Foto zeigt in KOH abgestorbene Ständer mit zusammengeflossenen Tropfen. |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Fotos Lothar Krieglsteiner - der Lamellen-Querschnitt zeigt (1. Foto Übersicht) eine reguläre Lamellen-Trama sowie die Schichtung mit Hymenium, Subhymenium und Trama. |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner. Die Huthaut ist eine Cutis mit liegenden, radial verlaufenden, relativ dünnen Hyphen (Aufnahme in Kongorot-NH3). |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner. Die Aufnahme zeigt die Stipitipellis mit Caulozystiden. Aufnahme in Kongorot NH3 |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner. Die Aufnahme zeigt den genauen Entnahme-Ort der Fruchtkörper an einer Wegböschung durch reinen Birkenwald. |
Ockerbrauner Rasling (Lyophyllum cf. brunneo-ochrascens) am 17.07.2022 bei Lusaeter (Norwegen, Innlandet, Vågå, Heidal, Slettmoen), am Wegrand in reinem subarktischem Birkenwald knapp unterhalb der Fjell-Stufe (Waldgrenze), 990 m NN, GPS: N61°45'30.54" E9°9'35.64", leg. Katharina & Lothar Krieglsteiner, det., Foto Lothar Krieglsteiner. Die Aufnahme zeigt den Birkenwald oberhalb der Böschung. mit Wald-Storchschnabel (Geranium silvaticum) als einer der dominierenden Pflanzen. Dieser zeigt sicherlich eine leichte Eutrophierung durch die Schaf- und Rinderbeweidung an. |
Nun – warum denke ich, dass mein Fund L. brunneo-ochrascens ist und warum bin ich nicht sicher? Zum Einen lande ich mit Funga Nordica zielsicher bei dieser Art, und ihre Ökologie passt sehr gut, um nicht zu sagen „wie die Faust aufs Auge“ (s.o.). „Meine“ Sporen maß ich mit 6,5-8,5/4-5,5(6) µm (Messung an Frischmaterial) bzw. 6,2-8,3/3,9-5,2 µm (Nachuntersuchung an Trockenmaterial in Spraitbach), sie sind mehr oder weniger ellipsoidisch mit teils leichter subapikaler Depression, in unreifem Zustand mit etlichen kleinen Öltropfen, die später in vivo zu mehreren größeren, im Totzustand zu einem großen Tropfen zerfließen, der bei länger toten Sporen gar nicht mehr zu sehen ist (inhaltsleer). Sporen-Inhalte sind aber ein Merkmal, das bei Lamellenpilz-Leuten (wie auch Ludwig) nicht wertgeschätzt wird – die Sporen sind bei Ludwig wie auch sonst oft ganz inhaltsleer dargestellt: Davon abgesehen: eigentlich alles paletti mit L. brunneo-ochrascens, sollte man meinen. Aber: es gibt ein paar Einwände. Zum Einen: die Sporen sind bei Ludwig etwas größer angegeben (7-9,5-/4,5-6 µm). Geschenkt. Zum Zweiten schreibt Ludwig, dass sein Pilz „in allen Teilen direkt und schnell schwärzend“ sei – bei meiner Aufsammlung schwärzt zwar ebenfalls der ganze Pilz, aber sehr verhalten und langsam, und keinesfalls direkt und schnell. Nun ja. Drittens sind laut Ludwig die Lamellen „schmutzig ocker“, von gleicher Farbe wie der Hut (was ihn zum deutschen Namen „Ockerblättriger Rasling“ verleitete), was ich nicht unbedingt unterschreiben würde, ich finde die Lamellen heller grau-weißlich. Ludwigs Aquarell finde ich allerdings nicht soo schlecht zu meinem Fund passend.
Nun – eine Art, die bisher nur vom Typus bekannt ist, ist vermutlich variabler als es die Typusbeschreibung erlaubt, und es ist damit zu rechnen, dass eine zweite Aufsammlung vielleicht nicht ganz mit der ersten übereinstimmt. Trotzdem ist man als Bestimmer in solchen Fällen verunsichert. Ich bin nicht darüber informiert, ob es eine Sequenz zur Typus-Kollektion gibt, nehme es aber eher nicht an, zumal mir einmal zu Ohren kam, dass Erhard Ludwigs Belege in schlechtem Zustand ins Museum nach Karlsruhe kamen, weil er sie in seiner Wohnung über viele Jahre nicht gut trocken lagerte (Ludwig schreibt selbst in seiner Typus-Beschreibung, dass er die Huthaut wegen Schimmelpilz-Befall nicht präparieren konnte …). Nun ja …
Was wäre außer L. brunneo-ochrascens noch möglich? Eine ganz neue Art. Warum nicht? Aber mit der gleichen Ökologie, dem gleichen Habitus und der gleichen Sporenform? Natürlich möglich. Bewertet man die bei machen Sporen auftretende leichte supraapikale Depression stark und geht in Funga Nordica auf diesem Weg weiter (findet die Sporen nicht ellipsoidisch), dann kommt man zu L. semitale, auf Deutsch „Hygrophaner Rasling“. In der Tat ist auch meine Aufsammlung etwas hygrophan (Studio-Foto), was auch Ludwig für L. brunneo-ochrascens beschreibt, andere makroskopische Merkmale passen aber nicht zu L. semitale. Diese Art ist farblich variabel, aber von hell grau bis nahezu schwarz, nicht wirklich braun gefärbt. Das gefällt mir nicht. Dazu kommt die doch andere, schmalere Sporenform mit der viel deutlicheren supraapikalen Depression.
Fürs Erste bleibt mir nichts übrig, als die Aufsammlung als L. cf. brunneo-ochrascens zu führen und darauf zu hoffen, dass die Art wieder gefunden wird, am Besten auch von mir selbst, bei einem weiteren Skandinavien-Aufenthalt. Die Pilze bleiben spannend 😊